Franz Lässer – Riders Blog Issue 28
August 2023

Herbstwind und Regen

Nun schmälern sich die Tage wieder allmählich und die einst sattgrünen Blätter beginnen von den Bäumen zu fallen. Wenn die Schüler wieder die Zebrastreifen unsicher machen und der Herbstwind so manchen vom Rade verweht, dann schimmern die Äpfel in Nachbars Garten und eine neue Ausgabe vom Lines Mag liegt vor der Tür.

Apropos Herbstwind, den bekommt man im schottischen Hochland aktuell auch zum halben Preis. Gratis obendrauf: Regen und Nebel. Die 17 Grad max. Temperatur auf den schottischen Straßen schützen vor Überhitzungsproblemen und staubig wird’s auch nicht, eigentlich der Traum eines jeden Radlers. Umso härter war für mich die erste Woche auf der Bahn, ganz ohne Sprühnebel und nassen Hintern.

Rambazamba im Stadion

Rambazamba, Tag und Nacht, hat’s dort gespielt. Es war die erste WM, bei der sich die „Behindertensportler“ und „Normalbehinderte“ vollintegriert die gleichen Renntage auf der Bahn geteilt haben. Es war die absolute Hölle los. Die Abendtickets im Sir Chris Hoy Velodrom so gut wie ausverkauft und gegenüber im Celtic Fußballstadion hat’s auch ordentlich Radau gegeben. Die Schlangen am Ticketschalter sind ums halbe Stadion gegangen und die Hot Dog Stände auf den Straßen waren maßlos überfordert.

Meine Erwartungshaltung in Hinblick auf Glasgow war bis dato relativ bescheiden, man weiß ja nie, wie die Dinge laufen. Aber wenn man dann in der Aufwärmbox neben Team Italy kurbelt und sich bei der gleichen Toilette wie Filippo „Top Ganna“ und Elia Viviani anstellt, dann schraubt’s einem schon mal die Sicherung raus. Keinem weitersagen, aber ich hab das Top-Ganna-Stundenweltrekordrad angegriffen.

Die Bahnmatura

Nun ist der finale Abgabetermin für die letzten Hausaufgaben und die Schularbeit steht an, vielleicht sogar die Zentralmatura. Bahn WM im Para-Cycling ist ein wenig wie Matura schreiben. Natürlich wird zuerst in den Basisfächern maturiert: „4km Einzelverfolgung“, „1km Zeitfahren“ und „200 Meter fliegender Sprint“. Diese Fächer sind eigentlich simpel. Sprich, wenn keine Aufgabe fehlt, wird man sicher bei den Strebern mit den guten Noten mitspielen. Die 4. Disziplin „das Scratchrennen“ ist eher so das Wahlpflichtfach, wo Glück, Pech und Risiko auch ein Wörtchen mitreden. Ach ja, und das „Omnium“ ist eine Mischung aus allen Fächer, in etwa so wie der Sachkundeunterricht in der Volksschule. Gemacht wird einfach alles und keiner kennt sich aus. Hauptsache, am Ende bekommen die besten drei Schüler ein Kuscheltier.

 

 

Zeugnisverteilung

Mit jedem verstrichenen Bewerb hat sich nun eine weitere Note in mein Zeugnis eingetragen. In der Verfolgung war ich mir sicher, keine Hausübung vergessen zu haben, doch ich war nur Fünftbester in der Klasse, vielleicht hab ich nicht exakt genug gelernt. Im nächsten Bewerb, dem „1km Zeitfahren“, bin ich im Finale aus dem Pedal gerutscht. Das ist in etwa so, wie wenn die Hausaufgaben vom Hund gefressen werden. Hier steht nun schon wieder ein fünfter Platz im Zeugnis. Als nächstes das „Scratchrennen“: Bei 5 Runden vor Schluss hab ich attackiert. Schwer abzuschätzen, ob ich durchkomme. Nach ein bis zwei Runden hat man entweder ein kleines Loch aufgerissen oder die Attacke war so mickrig, dass noch alle dran sind. Ich war dann schön stark weg und bin dann ganz schön viel stärker eingegangen. Eine halbe Runde vor Schluss bin ich dann vom Feld überrollt worden. Leider bin ich in dem Fall wirklich „überrollt“ worden. Ein Kontrahent hat mich im Sprint übersehen und mir von schräg hinten voll eine mitgegeben. Das Ganze ist kurz vor der Ziellinie passiert. Da wäre ich fast schon unter den Klassenbesten gewesen und darf trotzdem mit Schürfwunden und Splittern im Arsch heimgehen.

 

Zu guter Letzt sprinten wir nochmal 200 Meter. Saftige 200 Meter. Der letzte Bewerb im (Sachkunde-)Omnium. Ich hätte an diesem Tag sicher keine schnelleren 200 Meter fahren können. Und so die Abschlussnote: vierter Platz in der Klassenwertung. Zum Glück bekommt auf die 200 Meter sowieso keiner ein Kuscheltier. Aber nun war es auch an der Zeit, die Sachkundenoten einzutragen. Die Betreuer haben alle herumgerechnet, ich war beim Ausfahren und hab gar nichts auf dem Schirm gehabt. Auf einmal kommt mein GB-Kollege Blaine Hunt (WM 1km) zu mir rüber, klopft mir fest auf die Schulter und sagt mit einem fetten Grinser: “Well done, Boy!“ Ich hatte auf die Schnelle keine Ahnung, von welchem Steak der Typ redet. Dann seh‘ ich im nächsten Moment die Auswertung und finde meinen Namen nicht. Schrecksekunde. Da bin ich! Einfach so gut wie ganz oben, auf der Nummer 2, auf dem Sibermedaillen- und Kuscheltierplatz.

 

 

03/10/2023

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